27
Jan
2005

meine Entscheidung

Ist schonmal jemandem aufgefallen, dass Autos nicht zugleich vorn und hinten blinken, sondern abwechselnd erst vorn und dann hinten, oder halt erst hinten und dann vorn? Oder, dass Straßenbahnen ihre Seitenspiegel aus- und einklappen können, so wie sie es brauchen?
Ich konnte mich nicht auf HIV testen lassen. Ich konnte es einfach nicht. Zwar war ich mit Thoralf da und er hat es auch wirklich getan, aber als ich dann dran sein sollte (zuvor wird nochmal ein Gespräch geführt) wäre ich am liebsten weggerannt. Ich entschied für mich es lieber nicht wissen zu wollen, auch wenn Thoralf das etwas egoistisch und unverantwortlich meinen Mitmenschen gegenüber findet. Aber letztendlich gehöre ich zu keinerlei Gefahrengruppe und das Risiko HIV infiziert zu sein ist genau so hoch bzw. gering (wie man es halt sieht), wie bei jedem anderen auch. Vielleicht steckt da auch diese kindliche Angst dahinter, dass ich mit Thoralf dahin gehe, weil er es machen möchte und ich es dann habe. Und mit solch einer Diagnose könnte ich denke ich nicht wirklich umgehen. Ich meine, ich versuche zu leben, auch so und so intensiv wie möglich. Wenn ich es habe, dann habe ich es, aber ich möchte es nicht wissen. Ich möchte nicht mit einem Schatten auf der Seele mein Dasein fristen. Am Ende würde es nichts ändern, außer einem Moment Gewissheit, dass man es halt nicht hat, oder einem unemdlichen 'man ist infiziert'. So leben, einfach kindlich naiv in jeden Tag reinschlittern, alles was man tut mit Seele ausfüllen und am Abend möglichst ohne zu bereuen ins Bett gehen. Das kann und möchte ich ohne Test. Vielleicht ändert sich meine Meinung noch, aber jetzt bin ich noch nicht bereit dazu.
Ich finde es unheimlich mutig, dass Thoralf es getan hat. In diesem Vorgesprächsraum sah ich mir die ganze Zeit die Fenster an. Sie kamen mir vor wie Klosterfenster und in meinem Kopf entstanden Muster, die hineinpassen hätten können. Es schneite.

In meine Bahn (Thoralf und ich waren am Umschlagplatz und ich musste die Bahn wechseln) stieg ein Mann ein und setzte sich vor mich. Er hatte einen langen, dunkelgrünen, ledernen Mantel an. Sein nasses, langes, blondes Haar mit einem schwarzen Haargummi zu einem Pferdeschwanz gebunden, Kinnbart, Brille, große, graue Augen. Mein Verlangen seine Schulter zu berühren, das kalte Leder unter meinen Händen. Er greift sich mit der Hand an den Nacken, mich schauert es. Seine großen grauen Augen blicken aus dem Fenster, ich kann es sehen, das Glas spiegelt es. Fragend blickt er sich um, spricht mich an, kein Sachse. Er sitzt in der falschen Bahn. Er meint, da hätte er sich wohl komplett verkuckt. Ich lache, mir ging es gestern ebenso. Er lacht. Ich erkläre ihm, wo er aussteigen kann, und welche Bahn er nehmen muss, um an den gewünschten Ort zu kommen. Er bedankt sich, lacht. 'Viel Glück!' Er steigt eine Haltestelle vor mir aus.

Der Gott ist doch nicht so göttlich wie ich dachte. Er war heute da, beim Berufswettbewerb. Schon als er reinkam, die Welt hörte nicht auf sich zu drehen, kein Müh. Seltsam, ich schmeiße die Apfelkerne aus dem Fenster.

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